Gestiegene Energiepreise und die Notwendigkeit, mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen zu verankern, beschäftigen den gesamten Einzelhandel. Mit seinen 6.000 Standorten schlummern auch im Buchhandel noch Energiesparpotenziale. Die Klimaschutzoffensive des Handelsverbands Deutschland (HDE) hat 2022 deshalb gemeinsam mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V. das Projekt „Klimaneutral Wirtschaften im Buchhandel“ ins Leben gerufen. Buchhandlungen in ganz Deutschland konnten sich um eine Teilnahme an der Initiative bewerben, in der eine Pilotbuchhandlung auf dem Weg in die Klimaneutralität begleitet und durch ein professionelles Energieberatungsteam unterstützt wird. Ausgewählt wurde aufgrund ihrer herausragenden Motivation zur Klimaneutralstellung die Buchhändlerin Svenja Esch mit ihrer Lesumer Lesezeit in Bremen.
Die Eckdaten der Pilotbuchhandlung
Die inhaberingeführte Buchhandlung hat eine Verkaufsfläche von 50 Quadratmetern und macht mit einem vielfältigen Sortiment rund 334.000 Euro Umsatz im Jahr. Die Buchhandlung ist seit zehn Jahren in einem Altbau aus den 1920er Jahren eingemietet und befindet sich in der historischen Hindenburgstraße im Bremer Stadtteil Burglesum. Für ihren Laden hat Svenja Esch bereits 2020 im Rahmen des Deutschen Buchhandlungspreises das Gütesiegel „hervorragende Buchhandlung“ erhalten – unter anderem, weil sie Maßnahmen zur Reduzierung von Abfall und Emissionen ergreift. Bücher sind in vielen Fällen Geschenkartikel, die energieaufwendig auf Papier hergestellt werden. Als Besonderheit kommen noch die (Geschenk-)Verpackungen und die Übernachtlieferungen hinzu. Diesen Herausforderungen gewahr, muss sich die Buchbranche bewusst mit ihrem CO2-Ausstoß auseinandersetzen, um so klimafreundlich wie möglich zu handeln.
Der Weg der Lesumer Lesezeit in die Klimaneutralität
Die spezifischen Voraussetzungen des Buchhandels beim Energieverbrauch zu betrachten, war das Ziel des Pilotprojekts mit der Lesumer Lesezeit. Die Bremer Buchhandlung kann mit Blick auf ihre Verkaufsfläche und unternehmerische Tätigkeit als Blaupause für viele weitere Buchhandlungen in Deutschland stehen. Bei einem Ortstermin nahm das Energieberaterteam Olaf und Claudia Güldner (etaKonzept) die Beleuchtung und Heizung im Rahmen eines Energieaudits nach DIN EN 16247 genau unter die Lupe. Details wie Laufzeiten von Computern und der Spülmaschine sowie das Energietagebuch wurden ebenso analysiert wie die potenzielle Anbringung einer eigenen Photovoltaikanlage auf dem Dach des Gebäudes. Die Mobilität aller Mitarbeiter:innen, inklusive Inhaberin, wurde erhoben und im CO2-Fußabdruck berücksichtigt. Über insgesamt zwei Tage investierte die Buchhändlerin rund zehn Stunden ihrer Zeit in den Evaluierungsprozess.
Strombedarf fundiert analysieren
Strom und Wärme machen zu ungefähr gleichen Teilen den Energiebedarf der Buchhandlung aus, wobei der Kostenanteil für Strom 69 Prozent ausmacht. Beim Stromverbrauch entfallen 29 Prozent auf die Beleuchtung, neun Prozent auf EDV und fünf Prozent auf Küchengeräte. Die Beleuchtung ist in der Lesumer Lesezeit bereits fast komplett auf LED umgerüstet und entspricht somit dem aktuellen Stand der Technik. Etwa zehn Prozent des Strombedarfs kann bei der Beleuchtung eingespart werden. Hierzu empfiehlt es sich, Präsenzmesser mit Messungen der Lichtintensität durch Tageslicht zu kombinieren. In weniger genutzten Räumen, wie Keller und Lager, kann so eine Reduktion von bis zu 70 Prozent erreicht werden.
Standby-Verluste intelligent vermeiden
Standby-Verluste können reduziert und ältere, ineffiziente Geräte durch modernere ersetzt werden. So fällt z. B. beim Betrieb des Kopierers auf, dass gut 75 Prozent der Energie ungenutzt verloren gehen, während dieser im Standby-Modus auf einen Einsatz „wartet“. Hier liegen große Einsparpotenziale, wenn vor allem die Mitarbeitenden für den Verbrauch sensibilisiert werden können. Technische Hilfsmittel wie intelligente Steckdosenleisten können beim Energiesparen unterstützen. Werden mindestens einmal im Jahr Verbrauchswerte mit Kennzahlen verglichen, können unnötige Verbräuche frühzeitig entdeckt und abgestellt werden.
Heizverhalten optimieren und Wärmebrücken schließen
Geheizt wird in dem Gebäude zentral durch eine Erdgas-Brennwertheizung, die Abrechnung erfolgt über die Nebenkosten. Die Heizungsanlage ist optimal eingestellt und gewartet, die Raumtemperatur der Buchhandlung auf ideale Arbeitstemperatur eingestellt – hier ist kaum Einsparpotenzial zu heben. Die Auswertung des Wärmebildes der Fassade jedoch ergab, dass besonders die großen Schaufenster und die Tür Wärme abgeben. Auch die Heizkörper könnten effizienter arbeiten. In der Lesumer Lesezeit sind diese versteckt durch ein Schaufensterpodest und Sofa. So staut sich die Wärme und kann nicht ungehindert in den Raum gelangen. Legt man die Heizungen frei, lassen sich dadurch 20 – 30 Prozent Energie einsparen.
Der CO2-Fußabdruck
Die Lesumer Lesezeit kommt auf einen CO2 -Ausstoß von 15 Tonnen pro Jahr (Stand 31.12.2021). Dies ist ein klassischer Wert für ein Handelsunternehmen dieser Größe. Mit den hauseigenen Möglichkeiten kann eine Reduktion um ca. neun Tonnen erreicht werden. Um jedoch Klimaneutralität zu erreichen, sind Maßnahmen mit Investitionsbeteiligung des Vermieters nötig. So könnte laut dem Bericht der Energieprofis durch den Einbau einer Brennstoffzelle und Photovoltaikanlage das Haus Klimaneutralität erreichen! Bei Investitionskosten von ca. 25.000 Euro und Einsparungen von ca. 3.200 Euro jährlich bei der Brennstoffzelle bzw. 20.000 Euro Kosten und Einsparungen von 2.200 Euro jährlich mit einer Photovoltaikanlage ist dies eine langfristige Investition, die wirtschaftlich Sinn macht. Sie muss jedoch vom Eigentümer selbst realisiert werden. Hier hat die Buchhändlerin wenig Handhabe: Wie viele Kolleg:innen aus dem Sortiment ist sie lediglich Mieterin. Der Eigentümer des Hauses ist gesprächsbereit, allerdings steht ein Verkauf der Immobilie an.
Klimaspende als Ausgleich für unvermeidbare Emissionen
Svenja Esch kann trotz zahlreicher Energieeinsparungen nicht alle CO2-Emissionen vermeiden. Die Erreichung einer Klimaneutralität durch Zertifikate wird derzeit stark diskutiert. Die Notwendigkeit der Kompensation ist seit dem Kyoto-Protokoll zwar unstrittig. Allerdings sorgen fehlende Transparenz und mangelnde Überprüfbarkeit für Skepsis.
Svenja Esch hat sich entschieden, keine Klimazertifikate zu erwerben, um damit die 15 Tonnen CO2 auszugleichen und somit auch nicht das Label „Klimaneutrale Buchhandlung“ zu erhalten. Sie wird allerdings ihre unvermeidbaren Emissionen mit Klimaspenden an moor-land.de (einem Projekt des BUND zur Renaturierung von Mooren in Niedersachsen) und Positerra (einem Projekt zum Aufbau von Humus auf landwirtschaftlich genutzten Flächen) ausgleichen. Die Lesumer Lesezeit wird dadurch de facto klimaneutral – nur ohne offizielle Urkunde.
Gut zu wissen: Lieferwege im Buchhandel
Die meisten Buchhandlungen werden an jedem Wochentag mit Waren aus dem Barsortiment und mehrfach in der Woche von Verlagsauslieferungen beliefert. Die CO2 -Bilanz dieses Lieferweges wird von den Logistikunternehmen bereits erfasst und größtenteils zertifiziert.
„Klimaschutz ist das wichtigste Thema unserer Zeit. Ich habe mich deshalb gefragt, was ich als Buchhändlerin beitragen kann. Das Pilotprojekt hat mir gezeigt, wie viel CO2 wir verursachen und welche Maßnahmen bei der Senkung sinnvoll sind“ - Svenja Esch, Buchhändlerin Lesumer Lesezeit
Weitere klimafreundliche Maßnahmen für den Buchhandel
Bestelloptimierung
• konstante Konditionen vereinbaren
• ein Warenwirtschaftssystem nutzen, das elektronische Bestellungen ermöglicht
• alle Pack- und Bündelungsmöglichkeiten vollumfänglich ausschöpfen
• alle Faktur- und Versandgemeinschaften nutzen
• die Auslieferungen bei deren Bemühungen um Faktur- und Versandgemeinschaften unterstützen
• Bücher aus Verlagen mit Faktur- und Versandgemeinschaften am selben Tag bestellen
• klare Zuständigkeiten bei der Abwicklung von Bestellprozessen
• auf das Vormerken von Backlist-Titeln verzichten, um Einzelstücklieferungen zu vermeiden, bei Kleinmengen verstärkt das Barsortiment nutzen
• Bücher akzeptieren, die aufgrund umweltfreundlicher Verpackung leicht beschädigt sind
Remissionen vermeiden
Remittenden möglichst vermeiden! Wenn dennoch remittiert werden muss:
• nicht mehr als zwei bis drei Termine pro Verlag/Auslieferung und Jahr
• Hardcover für mindestens zwölf und Taschenbücher für mindestens sechs Monate im Sortiment belassen
• zehn Prozent Remissionsquote als oberste Grenze festlegen – in Ihrem eigenen Interesse eher weniger
• eine feste Remissionsquote statt Genehmigung aushandeln
• körperlose Remissionen mit den Verlagen aushandeln
• keine Einzeltitel remittieren, d. h. Verlagsbündelung auch bei Remissionen beachten
• bei Ladenpreis-Aufhebung Einzeltitel bis zum Vertretertermin liegenlassen
Mehr Informationen über alle Beteiligten können Sie hier nachlesen:
Börsenverein des Deutschen Buchhandels
Energieberatung etaKonzept Güldner
Pressemitteilung zum Abschluss des Pilotprojekts "Klimaneutrale Buchhandlung"