Es ist Montagmorgen um 8 Uhr mitten im Zentrum des kleinen Städtchens Höxter im Dreiländer-Eck zwischen NRW, Niedersachsen und Hessen. Kaum jemand ist zu dieser Stunde unterwegs in den beschaulichen Gassen der Altstadt, in der sich ein Fachwerkhaus an das andere reiht. Vor dem Traditionskaufhaus steht Georg Ratjen von der Firma ÖKOTEC aus Berlin. Mit dabei hat er seine Wärmebildkamera, mit der er das riesige Gebäude des Modehauses Klingemann auf mögliche Wärmelecks untersucht. Daten sammeln, technische Anlagen inspizieren, Messungen machen – all das gehört zur Klimaneutralstellung eines Einzelhandelsgeschäfts dazu.
Der 1. Schritt: Daten erfassen und messen
Vor dem Gebäude ist mittlerweile auch Jens Klingemann angekommen. Er ist Geschäftsführer und leitet das Familienunternehmen mittlerweile in der 8. Generation. Klingemann kann zurecht als grüner Handelspionier bezeichnet werden. Zahlreiche Energiesparmaßnahmen hat er in den vergangenen Jahren bereits umgesetzt: Um stattliche 80 Prozent konnte er seinen Energieverbrauch bereits senken. Jetzt will er es richtig wissen. „Nach den bisher umgesetzten Maßnahmen ist das Ziel der Klimaneutralität der letzte logische Schritt. Das hatte ich mir bereits Anfang des Jahres vorgenommen. Ich freue mich, dass es endlich losgeht. Mir ist am Ende wichtig zu erfahren, welche Stellschrauben ich noch drehen kann, damit die Klimaneutralstellung nicht nur auf die ausschließliche Kompensation der Emissionen hinausläuft“, so Klingemann.
Gesagt, getan – nach einem kurzen Kennenlernen geht es gleich an die Arbeit. Als erstes nimmt uns Jens Klingemann mit in die Energiezentrale seines 7.000 Quadratmeter großen Kaufhauses. Hier angekommen erklärt der Unternehmer die zahlreichen technischen Details zur Klima- und Lüftungstechnik. 25 Prozent Außenluftanteil im Verkaufsraum, Nachtkühlfunktion, Wärmefühler im Laden - Energieexperte Georg Ratjen schreibt fleißig mit und stellt immer wieder technisch detaillierte Nachfragen. Jens Klingemann kennt die Antworten aus dem Kopf.
Klingemann baut die größte Photovoltaikanlage in der Innenstadt von Höxter
Nach dem Besuch der Energiezentrale geht es für die Runde hoch hinaus – auf’s Dach des 4-stöckigen Modehauses. Jens Klingemann schreitet schnellen Schrittes voran. Neben der hügeligen Landschaft des Weserberglandes und den kleinen Gassen der Altstadt sehen wir vor allem eines: zahlreiche Solarmodule. Diese nehmen fast die gesamte Dachfläche des Traditionskaufhauses ein. Insgesamt 2.500 Quadratmeter Fläche mit einer Höchstleistung von 300 kWp wurden hier installiert.
Es ist die größte Photovoltaikanlage in der Innenstadt von Höxter. „Wir haben wirklich jeden Winkel unseres Daches genutzt. Mehr war nicht drin, weil die aktuelle 300 kWp-Ausbaugrenze unrentable Mehraufwendungen erfordert hätte. Das macht wirtschaftlich leider keinen Sinn“, erklärt Klingemann. Auch auf dem Dach kommt die Wärmebildkamera von Ratjen zum Einsatz. Er überprüft die einzelnen Module auf mögliche Beschädigungen. Wenn diese Risse haben oder die Verkabelung nicht stimmt, zeigt das Gerät dies an. Ebenso wie bei der Gebäudehülle wird er auch hier nicht fündig.
Keine Förderung für Photovoltaikausbau in NRW
Die Solarmodule funktionieren einwandfrei. 208.000 Kilowattstunden wurden in diesem Jahr bereits produziert, auf 240.000 kWh will Jens Klingemann nach insgesamt 12 Monaten Betriebszeit der Anlage im kommenden Februar noch kommen. Nachschauen kann er die ganzen Daten auf seinem Smartphone. Eine App zeigt ihm stets die aktuelle Stromproduktion. „Mit dieser App kann ich wirklich sehen, wann sich gerade mal wieder eine Wolke vor die Sonne geschoben hat. Das ist wirklich faszinierend.“ Weniger faszinierend findet er hingegen manche bürokratischen und förderrechtlichen Hemmnisse, die sich engagierten Unternehmern in den Weg stellen: „Fünf Kilometer von hier ist Niedersachsen, da erhalten Sie bis zu 40 Prozent Förderung für eine PV-Anlage. Hier bei uns in NRW gibt es leider nichts. Das ist schon auch ein wenig frustrierend für diejenigen, die sich engagieren wollen.“
Reduktionskonzepte für Klimaneutralstellung: Rechnen und modellieren
Wie schon in der Energiezentrale fragt Effizienzexperte Ratjen auch bei der Besichtigung der PV-Anlage immer wieder nach technischen Details. Jens Klingemann bleibt nie eine Antwort schuldig. Vielmehr antwortet der Unternehmer mit einer technischen Präzision, die nachhaltig imponiert. Man könnte meinen, man hat es hier mit einem Ingenieur zu tun und nicht mit jemanden, dessen unternehmerischer Fokus auf der Modebranche liegt. Auch das gehört wohl dazu, wenn man sich für den Klimaschutz stark machen will und Verantwortung übernimmt: fundiertes Know-how und Entschlossenheit.
Aktuell denkt Klingemann über die Anschaffung eines Speichers nach, mit dem er den Strom aus seiner PV-Anlage vorhalten kann. 75 Prozent des produzierten Stroms werden aktuell selbstgenutzt, die restlichen 25 Prozent werden eingespeist. Diesen Strom möchte Klingemann allerdings gerne selbst nutzen. Ob sich die Investition in die technisch immer noch nicht ganz ausgereiften Speicher lohnt, werden die Effizienzprofis im Rahmen des Pilotprojekts berechnen. Aktuell bewirken die Be- und Entladevorgänge der Speicher nämlich, dass diese noch vor Ablauf der Amortisationszeit unbrauchbar werden. „Am Ende müssen sich die ganzen Effizienzmaßnahmen für mich als Unternehmer natürlich auch wirtschaftlich auszahlen.“
Heizkessel: Tauschen oder in neue Technologien investieren?
Runter vom Dach und zurück im Inneren des Gebäudes führt uns der Weg zu den Heizkesseln. Wir gehen durch die Flure des Verwaltungsgebäudes. Dabei fallen uns immer wieder die Zeitungsartikel aus vielen Jahrzehnten ins Auge, die in ihrem Rahmen die Wand schmücken. Sie zeugen von der über 260-jährigen Geschichte des Einzelhändlers, von der uns der Kaufmann gerne berichtet. Zwar nicht ganz so alt, dafür aber dennoch in die Jahre gekommen, wirken die beiden Heizkessel aus den 70ern.
„Aus heutiger Sicht sind die Kessel natürlich völlig überdimensioniert und wenig effizient. Aber sie tun noch immer zuverlässig ihren Dienst. Aus Energiespargründen habe ich allerdings nur einen Kessel in Betrieb und halte den anderen als Reserve vor“, erklärt uns Klingemann. Gerade beim Thema Heizen erhofft er sich aus der umfassenden Analyse des Energiedienstleisters wichtige Erkenntnisse über mögliche Alternativen. Bereits jetzt nutzt er den Heizkessel lediglich von Ende Oktober bis etwa Mitte März. An den anderen Tagen wird die Wärme mit Hilfe von Splitgeräten aus Strom gewonnen.
Bereits komplett auf LED-Beleuchtung umgestellt
Der Weg führt uns weiter in die Verkaufsräume des Modehauses. Hier fallen sofort die zahlreichen LED-Lampen ins Auge. Erst im Jahr 2015 wurde die Beleuchtung im gesamten Mode- und Sporthaus auf die energiesparende Lichttechnik umgestellt. Dennoch wird auch hier genau hingeschaut, ob es noch mögliche Einsparpotentiale gibt. „Da bin ich wirklich auf das Ergebnis gespannt. Sicherlich sind die LED-Lampen von heute noch wesentlich effizienter, allerdings ist uns ja aus klimatischer Sicht auch wenig geholfen, wenn wir die Beleuchtung noch vorm Ende der eigentlichen Lebensdauer wieder auswechseln.“, erklärt Klingemann. Die Energieprofis von ÖKOTEC schauen sich derweil genauer die Rolltreppen und Aufzüge an und machen sich auch hier wieder fleißig Notizen. Schließlich muss sich auch das in der aufzustellenden Klimabilanz wiederfinden.
Zertifizierte Grünstrom für schnelle CO2-Minderung
Zum Ende unseres Rundgangs finden wir uns im Besprechungsraum des Verwaltungsgebäudes wieder. Hier wird bereits über Möglichkeiten nachgedacht, wie sich die Klimabilanz verbessern lässt. Zertifizierter Grünstrom wäre solch eine Option. Die Frage ist, ob es günstiger ist, auf Grünstrom umzustellen oder die Emissionen zu kompensieren, die durch die Nutzung von konventionellem Strome entstehen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität gibt es dabei viele Optionen, die im Rahmen des Pilotprojekts erforscht und passgenau ermittelt werden.
Wir sprechen zudem über das Thema Mitarbeiter-Mobilität. Jens Klingemann hat bei all seinen rund 130 Beschäftigten nachgefragt, wie diese zur Arbeit kommen und welche Distanzen sie dabei zurücklegen. Auch die hierbei entstehenden Emissionen möchte der Unternehmer künftig ausgleichen.
Next step: eine umfangreiche Klimabilanz erstellen
Der Ball liegt nun bei Georg Ratjen. Energieverbrauchsrechnungen, Schornsteinfegerprotokolle, Lastgangprofile – alles diese Daten gilt es nun auszuwerten und zusammen mit den Erkenntnissen aus der Vor-Ort-Begehung eine umfangreiche Klimabilanz zu erstellen. Hieraus lassen sich weitere Einsparpotentiale ableiten und ein langfristiger Reduktionsplan entwickeln.
Welche weiteren Effizienzmaßnahmen dann auch wirtschaftlich Sinn machen, wird die Auswertung der Daten sowie die Ergebnisse der unterschiedlichen Modellrechnungen zeigen. An seinem Ziel bis zum Ende des Jahres klimaneutral zu werden, möchte Klingemann dennoch festhalten. Jetzt gilt es für die derzeitigen Emissionen geeignete Kompensationsprojekte zu finden. Im undurchsichtigen Dschungel der zahlreichen Projekte ist dies alles andere als eine einfache Aufgabe. Aber auch in dieser Frage kann sich der grüne Handelspionier aus Höxter der Unterstützung durch die Klimaschutzoffensive des Handels gewiss sein.
Wie geht es weiter mit der Klimaneutralstellung des Modehaus Klingemann?
Wir halten Sie auf dem Laufenden über die kommenden Schritte! Nach Erstellung einer Klimabilanz geht es in die Entwicklung eines langfristigen Reduktionsplans sowie in die Umsetzung der damit verbundenen Effizienzmaßnahmen. Zum Schluss werden die nicht vermeidbaren Emissionen kompensiert.
Wie es konkret weitergeht und wie das Team der Klimaschutzoffensive auch die Kundschaft und Mitarbeiter:innen auf diese Reise mitnimmt, zeigen wir Ihnen in Kürze. Abonnieren Sie einfach unseren Newsletter und erleben Sie mit, wie der Modehändler Jens Klingemann Schritt für Schritt klimaneutral wird.