Ein Gastbeitrag von Andreas Bartmann (Geschäftsführer Globetrotter Ausrüstung GmbH, Vize-Präsident Handelsverband Deutschland, Vize-Präsident Bundesverband Textilhandel, Präsident Handelsverband Nord)
Den Modehandel hat das Wetter schon immer beeinflusst. In Zeiten der Klimaveränderungen gilt das nun umso mehr. Die Sommer sind hierzulande länger, wärmer und mediterraner, die Winter nasser geworden. Die Globetrotter Ausrüstung GmbH beispielsweise verkauft inzwischen erheblich weniger Winterjacken und -schuhe als noch vor 20 Jahren.
Zu sehr in alten Dispositions-Strukturen
Die Disposition der Branche allerdings erfolgt noch zu sehr in den alten Strukturen – abgestimmt auf saisonale Jahreszeiten, die der Kalender vorgibt, die aber nicht mehr der Realität entsprechen, sowie ausgerichtet auf tradierte Orderzyklen und Messetermine. Warenaussteuerung und Wetter passen in der Folge häufig nicht überein, das sollte in Zukunft besser synchronisiert werden. Dafür sind ein Umdenken und die enge Zusammenarbeit mit den Lieferanten beziehungsweise der Produktion erforderlich.
Abschriften und „Lost Business“ vermeiden
Die richtige Ware zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – hier gibt es noch viel Luft nach oben. Hat man zu viele Winterjacken am POS, da es zu warm ist, sind hohe Rabatte und Abschriften die Folge. Fehlen bei warmer Wetterlage hingegen die Sandalen, weil sie noch auf dem Transportweg oder im Zentrallager statt auf der Fläche sind, resultiert „Lost Business“ daraus.
Konservativ betrachtet, entstehen fünf Prozent Margenverlust durch höhere Rabatte und zehn Prozent Umsatzverlust bei nicht vorhandener nachgefragter Ware. Am Beispiel eines klassischen mittelständischen Einzelhändlers mit einem Jahresnettoumsatz von zehn Millionen Euro berechnet, gehen bei den genannten Prämissen 750.000 Euro Rohertrag verloren – 250.000 Euro über den Margen-, 500.000 Euro über den Umsatzverlust.
Klimadaten in Planungsmodule integrieren
Der Optimierungsansatz im Unternehmen Globetrotter sind IT-Systeme mit Unterstützung künstlicher Intelligenz (KI). Wir haben Millionen eigener Datensätze aus den letzten zehn Jahren mit externen Daten zu Wetter und Klima angereichert, um zu lernen: Wie verändert sich der Abverkauf welcher Sortimente je nach Wetterlage? Was passiert wann mit der Besucherfrequenz, der Conversion Rate, den Umsätzen? Gleichzeitig möchten wir künftig verstärkt mit Wetterprognosemodellen arbeiten und planungsstabiler nach vorne agieren. Beispiel: Wenn eine Regenphase vorausgesagt ist, möchten wir adäquater darauf vorbereitet sein und die Sortimente bedarfsgerechter in die Schaufenster und Regale bringen.
Vorstellung auf dem Handelskongress 2024
Unsere KI-Tools werden zwar erst allmählich in der Praxis erprobt, aber wir sind schon jetzt von den positiven Effekten, insbesondere auf die Harmonisierung von Angebot und Nachfrage, überzeugt. Wir planen, die Module auf dem Handelskongress 2024 vorzustellen, der am 13. und 14. November in Berlin stattfinden wird. Eine solche IT-Unterstützung dürfte auch für mittlere und kleine Handelsunternehmen sinnvoll sein.
Personal effizienter nach Wetterlage einsetzen
Die Sortimente sind dabei nicht der einzige Bereich, bei dem der neue strategische Ansatz seine Vorzüge ausspielen kann. Wir sehen überdies große Potenziale in der effizienten Personalplanung, die nicht zuletzt in Zeiten des Fachkräftemangels immer bedeutsamer wird. Wird es unangenehm heiß, gehen die Menschen lieber an den See als in die Geschäfte. Regnet es am Wochenende, tritt der gegenteilige Effekt ein. Gut, wenn wir darauf mit der jeweils richtigen Personalstärke am POS eingestellt sind.
Natürlich schätzen unsere Mitarbeitenden langfristige Planungssicherheit. Doch auch für sie ist es nicht schön, im Laden zu stehen, wenn keine Frequenz vorhanden ist und der Arbeitstag kein Ende zu nehmen scheint. Umgekehrt wird unser Verkaufspersonal überfordert und brennt aus, wenn es sich um zu viele Kunden gleichzeitig kümmern muss. Hier gegebenenfalls auch kurzfristig die richtige Präsenz zu planen, steigert die Beratungsqualität und dürfte sich positiv in Umsatzentwicklung und Kundenzufriedenheit widerspiegeln. Auch die Mitarbeitenden freuen sich, wenn sie den heißen Sommersamstag mit ihrer Familie im Schwimmbad verbringen können – wir sehen hier eine Win-Win-Situation.
Mehr Forecast statt Vergangenheitsbetrachtung
Fazit: Unsere Daten- und Planungsmodelle, ob zu Sortiment oder Personal, waren bis dato zu vergangenheitsorientiert. Künftig werden verstärkt Forecast-Anwendungen unter Berücksichtigung externer Daten genutzt. Die Komplexität steigt. Da müssen Technik und insbesondere KI ans Werk, das Bauchgefühl eines Händlers allein reicht nicht mehr aus.
Weitere Infos:
In unserem Webinar "Klimaanpassung langfristig in Geschäftsprozessen verankern" spricht Andreas Bartmann noch detaillierter über die branchenspezifischen Auswirkungen von Klimafolgen und gibt weitere Einzelheiten über die umgesetzten Strategien.
Zur Aufzeichnung führt Sie dieser Link: Aufzeichnung "Klimaanpassung langfristig in Geschäftsprozessen verankern".