Sport-Thieme, Hersteller und Versandhändler für Sportgeräte und Sportartikel aus dem niedersächsischen Grasleben stellt sich diesen Herausforderungen und analysierte nachhaltige Zukunftskonzepte in einem Präsenzseminar zu Klimafolgenanpassung des Projekts HDE-Adapt. Der halbtätige Workshop am 28. August 2024 wurde gemeinsam mit dem Team des Handelsverbands Deutschland (HDE) und der Expertin für Klimaanpassung und nachhaltige Entwicklung, Birgit Georgi, durchgeführt.
Wolfram Nimmerrichter, Leiter der Abteilung CSR und seit 23 Jahren im Unternehmen, sieht die drängenden Potenziale einer frühzeitigen Klimaanpassung für Sport-Thieme in erster Linie in der vorgelagerten Lieferkette. Die Unternehmensleitung möchte zusammen mit dem Umweltteam frühzeitig die ersten Schritte in Richtung Vorsorge gehen und dadurch Vorreiter in der eigenen Branche werden.
Fit werden für die Herausforderungen der Zukunft
Das Familienunternehmen wurde 1949 von Karl-Heinz Thieme in Grasleben gegründet und ist Deutschlands größter Versandhandel für den institutionellen Sport. Seitdem hat sich Sport-Thieme dank der konsequenten Erschließung neuer Geschäftsfelder sowie der kund:innenfokussierten Ausrichtung des Produktangebots zu einem weltweit agierenden Unternehmen entwickelt, welches dieses Jahr sein 75-jähriges Jubiläum feiert. Maximilian Hohe führt das Unternehmen heute in dritter Generation gemeinsam mit seiner Ehefrau Katharina Thieme-Hohe, der Enkelin des Firmengründers.
Insgesamt beschäftigt Sport-Thieme ca. 400 Mitarbeitende, von denen rund 250 am Hauptstandort in Grasleben arbeiten. Dazu besitzt das Unternehmen zahlreiche Vertriebsbüros in 10 großen, deutschen Städten, u. a. in Berlin und Düsseldorf, und einige Niederlassungen und Kooperationen mit Franchisepartner:innen im Ausland. Rund 10% des Sortiments werden über den Onlineshop vertrieben. Den wichtigsten Teil des Vertriebsmodells macht jedoch der klassische Versandhandel aus, über den hauptsächlich Vereine, Schulen, Kindergärten und Kitas sowie andere Handelsunternehmen beliefert werden.
Was den Klimaschutz betrifft, erstellt Sport-Thieme seit 2021 jährlich Klimabilanzen. Das Unternehmen beschäftigt sich aktuell mit weiteren großen Umweltthemen. So wird das Umweltmanagementsystem EMAS eingeführt und es laufen die Vorbereitungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der EU - Corporate Social Responsibility Directive (CSRD). Das Unternehmen ist ab 2026 CSRD-berichtspflichtig und muss zukünftig offenlegen, welche Klimaanpassungsmaßnahmen umgesetzt werden.
Die Berichtspflicht weist dem Thema Klimaanpassung erstmalig eine strategische Bedeutung für Unternehmen zu. Neben einer fest verankerten Nachhaltigkeitsstrategie soll nun auch das Thema Klimaanpassung bei Sport-Thieme als Strategiefaktor in das Geschäftsmodell integriert werden.
Deswegen sind zahlreiche Mitarbeitende aus dem Nachhaltigkeitsbereich, dem deutschen und globalen Vertrieb, der Kommunikationsabteilung, dem Produkt- und Qualitätsmanagement, der Logistikabteilung und der Geschäftsleitung beim Workshop dabei. Dies ist auch notwendig, da für ein erfolgreiches Klimaanpassungsmanagement die breite und zielgerichtete Beteiligung verschiedener Abteilungen entscheidend ist. Vor allem die Anwesenheit der Geschäftsführung war im Workshop maßgeblich, da diese das Thema Klimaanpassung im Unternehmen schlussendlich vorantreibt und in alle Geschäftsbereiche integriert.
Klimaanpassung – ein wichtiges Thema auch für Stakeholder
Sport-Thieme zeichnet sich durch einen wertschätzenden und kooperativen Ansatz mit seinen Stakeholdern aus. Warum nicht auch eine wichtige Zielgruppe, wie beispielsweise Sportvereine, auf den Weg zur Klimaanapassung mitnehmen? Und wie steht es um Klimarisiken in den Kommunen? Achten Institutionen darauf, welche Klimarisiken auf sie zukommen könnten?
Geschäftsführer Maximilian Hohe sieht hier eine gute Basis für eine Zusammenarbeit mit den Kommunen, in denen das Unternehmen über Standorte verfügt und mit wichtigen Sportvereinen zusammenarbeitet. „Wir könnten gemeinsam potenzielle Klimarisiken analysieren und Strategien entwickeln“, so Hohe.
Auch bei der Kundschaft kann das Thema Klimaanpassung adressiert werden. Welche Möglichkeiten gibt es für die Sensibilisierung und die Bereitstellung von Informationen? In den Warenkatalogen und dem Blog des Unternehmens kann das Thema Klimaanpassung gut verbreitet werden. Wenn die Kundschaft über das eigene Engagement informiert, mit dem sich Sport-Thieme gegen zunehmende Wetterereignisse wappnet, zeigt dies, wie nachhaltig und zukunftsorientiert das Unternehmen agiert. Für die Marketingaktivitäten des Unternehmens ergeben sich neue Aspekte in der Kommunikation und ein Alleinstellungsmerkmal in der Branche.
Zudem will das Unternehmen seine Lieferant:innen auf dem Weg in die Klimaanpassung unterstützen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Sensibilisierung und die Schaffung von Informationsangeboten. „Gerne geben wir die Materialien von HDE-Adapt an unsere Lieferant:innen weiter, damit auch diese sich resilienter aufstellen. Wir wollen den Weg gemeinsam mit unseren Geschäftspartner:innen gehen“, betont Wolfram Nimmerrichter.
Ein Rundgang am Hauptstandort in Grasleben
Bisher hatte sich das Unternehmen nicht intensiv mit dem Thema Klimafolgenanpassung auseinandergesetzt, da Klimarisiken am Standort in Grasleben noch nicht akut aufgefallen sind.
Beim Bau des Verwaltungsgebäudes in Grasleben achtete Sport-Thieme auf die Nutzung nachhaltiger Materialien. Auf den Einbau einer Klimaanlage wurde bewusst verzichtet und stattdessen auf Lüftungssysteme gesetzt. Nachts wird kühle Luft aufgesaugt und über den Tag an die Büroräume weitergegeben.
Das Büro des Geschäftsführers Maximilian Hohe befindet sich auf der Sonnenseite. „An heißen Tagen im Sommer denken wir nicht zuerst an Klimafolgen oder Klimaanpassung. Erst, wenn wir uns die Zunahme der Hitzetage anschauen, werden Überlegungen für einen systematischen Ansatz greifbar."
An den anderen Standorten sieht die Situation jedoch etwas anders aus. Vor allem im Berliner Büro leiden die Mitarbeitenden unter der extremen Hitze. Hier stößt das Unternehmen u. a. auf technische und bauliche Grenzen, die den Einbau einer Klimaanlage erschweren.
Aber welche Klimarisiken wirken eigentlich am Graslebener Standort? Beim Rundgang über das Gelände des Verwaltungsgebäudes wurde klar: Auch wenn sich der Standort nicht in der Nähe eines Flusses befindet, ist dieser dennoch von Starkregenereignissen betroffen. 1996 lief der Keller im ehemaligen Hauptgebäude nach einem Starkregen voll. Damals befand sich dort noch die IT-Infrastruktur, die dabei zu Schaden kam. Zudem befindet sich das Verwaltungsgebäude in Tallage, was die Konzentration von großen Wassermengen begünstigt.
Starkregen könnte Schäden anrichten
Erst vor kurzem floss nach heftigen Niederschlägen erneut Wasser in den Keller des ehemaligen Hauptgebäudes. Das Oberflächenwasser konnte auf dem Grundstück nicht abfließen und bahnte sich seinen Weg in die Kellerschächte. Hier waren die Abflüsse bereits vollgelaufen. An einigen Stellen gab es keine Schächte, die das überschüssige Wasser aufnehmen konnten. Glücklicherweise befand sich dieses Mal keine empfindliche, technische Infrastruktur in den Räumlichkeiten.
Für den Rundgang war es von Vorteil, dass die Teilnehmenden des Workshops nicht nur das Verwaltungsgebäude in Grasleben, sondern auch die Logistikstandorte kennen, und dadurch auch deren Betroffenheit diskutieren konnten. In der Vergangenheit gab es auch in der Logistik Probleme mit Starkregen. Am Logistikstandort in Heidwinkel lief im vergangenen Jahr eine Dachrinne über. Ursache war entweder ein Schaden am Dach oder eine verstopfte Regenrinne. Das Außengelände in Heidwinkel ist zudem stark verdichtet und versiegelt, was das Abfließen von überschüssigem Regenwasser erschwert. Letztlich wurde deutlich, dass viel größere Wassermengen auf die Gebäude einwirken als zunächst angenommen. Auch bei Geschäftskund:innen gab es infolge von Hochwasser Probleme. Im August 2002 standen durch das Elbhochwasser mehrere Sportplätze unter Wasser. Einige Lieferant:innen des Unternehmens waren ebenfalls stark betroffen und konnten in Folge von Überschwemmungen ihre Ware nicht anliefern, da diese sonst beschädigt worden wäre.
Versiegelung an Logistikstandorten verstärkt Hitze
Auf dem stark versiegelten Gelände am Logistikstandort in Haldensleben ist die Hitze bereits stark spürbar. Auch wenn sich in den Lagerhallen keine besonders wärmeempfindlichen Waren befinden, machen die Versiegelung und der erhöhte Wärmeeintrag den Mitarbeitenden zu schaffen. Hinzu kommt, dass auch die Maschinen und andere kritische Technik bei hohen Temperaturen nur eingeschränkt genutzt werden können.
Kritische Bereiche entlang der Wertschöpfungskette analysieren
Den Teilnehmenden des Workshops war es sehr wichtig, einen genauen Blick auf die eigenen Wertschöpfungsketten zu werfen. In Kleingruppen wurden jeweils vor- und nachgelagerten Lieferketten des Unternehmens auf ihre Vulnerabilität hin analysiert. Die kritischen Bereiche liegen vorrangig in der Logistik und in der Beschaffung von Rohstoffen für die Warenproduktion.
Sport-Thieme bezieht Rohstoffe von Lieferant:innen aus der ganzen Welt. Von Deutschland bis Asien ist alles dabei. „In Indien sind die Temperaturen so hoch, dass die Maschinen teilweise nicht richtig laufen. Tagsüber wird es schon sehr früh extrem heiß. Da sind die Arbeiter:innen jetzt schon am kämpfen", sagt einer der Teilnehmenden des Workshops.
Die Volatilität der Lieferketten ist eine weitere Herausforderung. Bereits während der Corona-Pandemie beobachtete das Unternehmen erste Einschnitte in seinen Lieferketten. Aber auch im Zuge der Klimakrise sind diese anfälliger geworden. Im Frachtversand hat die extreme Hitze global einen Anstieg bei den Containerpreisen zur Folge. Aufgrund von niedrigen Wasserpegeln entlang wichtiger Schifffahrtsrouten können die Frachtschiffe nicht mehr mit ihrer üblichen Menge beladen werden. Dies führte bereits zu Lieferschwierigkeiten und kann in Zukunft zu einer Verknappung und Verteuerung der Waren führen.
Für die Produktion der Sportgeräte ist der Rohstoff Holz essenziell. Die Verfügbarkeit ist nicht immer gewährleistet, vor allem bei Holz mit Nachhaltigkeits-Zertifizierungen. Hier kann es zu einer Verknappung kommen, wenn die Warenlieferungen aus Regionen erfolgen, die von extremen Hitzeperioden, Waldbrandgefahr oder Dauerfrost betroffen sind. Ein weiteres Problem ist der Schädlingsbefall, der durch den Temperaturanstieg im Zuge des Klimawandels verstärkt auftritt. Überschwemmungen und starke Stürme sind eine weitere Herausforderung für die reibungslose Lieferung von Holz.
Unter den Teilnehmenden gab es angeregte Gespräche darüber, wo in den eigenen Lieferketten Anpassungsbedarf besteht, welche Maßnahmen infrage kommen und wie diese umgesetzt werden könnten.
Aktionsplan für die Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen
Nach der ersten Analyse der vor- und nachgelagerten Lieferketten ging es in den Gruppen darum, welche Anpassungslösungen für Sport-Thieme passend sind und wie sich diese konkret umsetzen lassen. Für den Hauptstandort in Grasleben wurde das Hochlagern von sensibler Infrastruktur wie z. B. der IT oder den Archivordnern in obere Stockwerke als erste Maßnahme genannt. Als weitere Maßnahme ergänzt Klimaanpassungsexpertin Birgit Georgi die Anbringung von Barrieren an den Lüftungsschächten. Bezüglich der Mitarbeitenden kommen flexible Arbeitszeiten, die Einrichtung von kühlen Aufenthaltsräumen, die Verschattung kleinerer versiegelter Flächen sowie das Anbieten von Erfrischungen wie z. B. kalten Getränken infrage.
In der Logistik könnten eine flexiblere Lagernutzung oder die Anpassung von Prozessen hilfreich sein. In einer nach Jahreszeiten organisierten Lagerlogistik könnten saisonale Produkte in größerer Menge auf Vorrat gehalten und Lagerkapazitäten vergrößert werden. Weiterhin könnten Sortimente auf ihre Klimaresilienz überprüft werden. Hier stellt sich die Frage, welche Produkte aufgrund der Klimawandelfolgen in Zukunft stärker nachgefragt werden und welche nicht.
Strategisch wichtige Lieferant:innen müssen ebenfalls auf ihre Klimaresilienz überprüft werden. Ein weiterer Schritt hierbei ist die Diversifizierung der Lieferanten. Um die eigenen Lieferketten gut im Blick zu haben, empfiehlt sich auch die Verwendung verschiedener Informationstools und -quellen. Hier nutzt Sport-Thieme bereits das Risikomanagementtool Prewave.
In Bezug auf die Holzprodukte, die Sport-Thieme im Sortiment hat, ist das Ausweichen auf andere naturbasierte Materialien wie z. B. Bambus momentan noch nicht möglich. „Unsere Produkte müssen gewissen DIN-Normen entsprechen, die wir einhalten müssen. Solche Normen können sich in Zukunft aber auch ändern“, sagt einer der Teilnehmenden. Für den Moment wäre das Ausweichen auf eine andere Holzart eine realistischere Anpassungsmöglichkeit. Auch wurde mit der Idee gespielt, eine eigene, nachhaltige Forstwirtschaft anzustreben, sich unabhängiger zu machen.
Für den von einer Spedition gemieteten Logistikstandort in Haldensleben stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten es für gemietete Immobilien gibt. Unsere HDE-Adapt Maßnahmenliste zur Klimaanpassung bietet dafür die passenden Lösungsansätze.
Für die Teilnehmenden geht ein spannender Workshop-Tag vorbei. „Es ist gut, sich 1 Tag lang Zeit zu nehmen und ein spezifisches Thema zu bearbeiten.“ Zudem betont Inhaberin Katharina Thieme-Hohe: „Die Probleme und Herausforderungen, denen wir gegenüber stehen, lassen sich nur gesamtgesellschaftlich meistern.“
Dafür ist eine strategische und gut durchdachte Herangehensweise wichtig. Mit den Arbeitshilfen zur Klimaanpassung und unserer Maßnahmendatenbank unterstützt das Team von HDE-Adapt Unternehmen bei der Integration und Verankerung von Klimaanpassung in ihre betrieblichen Prozesse.
Wir freuen uns sehr, dass wir den Teilnehmenden des Workshops Anhaltspunkte für erste Maßnahmen und Vorgehensweisen geben konnten und sind gespannt, wohin die Reise zur nachhaltigen Klimaanpassung für Sport-Thieme führt.
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